Berlin-Marathon

Auf dem Kurfürstendamm …

Ich war noch niemals in New York, ich war noch niemals auf Hawaii … so sang Udo Jürgens und da werde ich wohl auch nie hinkommen, zumindest nicht um am größten Marathon oder am größten (oder bedeutendsten?) Triathlon der Welt teilzunehmen. Aber in Berlin, da wollte ich unbedingt starten und das Gefühl erleben, am Ende des Marathons durch`s Brandenburger Tor zu laufen. Schon 2017 hatte ich mich für eine Teilnahme in Berlin beworben, aber das Losglück war mir nicht hold und wie sich herausgestellt hatte, war das wohl auch gut so. Auf Grund von einigen „Zipperlein“, die mich in 2018 geplagt hatten, wäre eine Teilnahme ohnehin nicht sinnvoll bzw. wahrscheinlich sogar unmöglich gewesen. Und so habe ich mich im Oktober 2018 einigen Sportfreunden angeschlossen, die sich als Team bei der Auslosung der Startplätze beworben haben. So bestand die dreifach höhere Chance einen der begehrten Startplätze zu ergattern und diese Strategie war von Erfolg gekrönt. Also hieß es dann ab November letzten Jahres „Berlin calling!“. Und diesmal sollte natürlich alles klappen, so der Plan. Da ich bei den 6 bereits absolvierten Marathons in der Vorbereitung immer wieder Probleme mit der Gesundheit oder terminlich Schwierigkeiten hatte, die geplanten Trainingseinheiten beruflich und privat unter den berühmten Hut zu bekommen, wollte ich dieses mal Nägel mit Köpfen machen. Meine Frau stand auf jeden Fall hinter mir und meinte „wenn das so viel Geld kostet, dann musst / darfst Du auch ordentlich trainieren“. Also von dieser Seite war der Rücken schon mal frei gehalten. In beruflicher Hinsicht sah ich auch nicht die ganz großen Probleme, da ich diesbezüglich keine größeren Widerstände erwartete und der notwendige Urlaub auch schnell genehmigt wurde. Blieben noch die Verpflichtungen im Sportverein… Dummerweise war genau an dem Tag, wo der Berlin-Marathon in 2019 stattfinden sollte auch unser jährlicher Swim & Run geplant, dessen Organisation ich ja als Abteilungsleiter der Triathlon-Abteilung mit verantworte. Aber die anderen Mitstreiter vom Orga-Team waren so freundlich und haben mich quasi für den großen Tag „freigestellt“ und so konnte ich mich auf die meine Aufgabe konzentrieren. Gesagt, getan und so habe ich gleich einen Plan geschmiedet, wie ich die 2019er Saison und das Training dafür gestalten wollte. Im Pläne machen bin ich ja schon immer gut, nur mit der kontinuierlichen Durchführung hapert es hin und wieder etwas … zu viele Unwägbarkeiten und unvorhergesehene Dinge, die man aber auch irgendwie nie so richtig einkalkuliert bekommt… Und so war es also auch in diesem Jahr wieder ein ewiges Hin und Her und Rauf und Runter. Aber irgendwie habe ich es doch geschafft, mich durchzuwurschteln und am 29. September 2019 an der Startlinie zu stehen. Da muss ich ganz ehrlich sagen, ich war dann doch tatsächlich etwas überrascht. Das hätte ich zwei Wochen vorher noch gar nicht gedacht. denn auch dieses Jahr gab es wieder im Vorfeld einige, wenn auch kleinere, Verletzungen und Problemchen. Aber der Läufer-Gott war gnädig zu mir und hat mich pünktlich wieder fit werden lassen und ehe ich mich versah befand ich mich inmitten einer riesigen Menschenmenge, mitten auf der Straße des 17. Juni. Auf großen Bildschirmen wurde der Start der jeweils vor uns startenden Blöcke übertragen und die Kameras schwenkten immer wieder über die unzähligen Köpfe der bunten Läuferschar. Da es mein 111. Start bei einer Sportveranstaltung war und ich dadurch ja doch schon Einiges an Erfahrung mitbrachte, hatte ich mich zeitig genug in den mir zugeteilten Startblock begeben und nun waren noch ca. 30 Minuten Animationsprogramm zu absolvieren, bis es endlich los ging. Vom eigentlichen Startschuss für den Block H um 10:10 Uhr bis zum Überqueren der tatsächlichen Startlinie (wo also die Zeitmessung beginnt) vergingen rund 8 Minuten. Irre, wie viele Leute da versammelt waren, um sich auf eine 42.195 Meter lange Reise zu sich selbst zu begeben. Für viele, wie ich rings um mich herum hören konnte, war dies der erste Marathon und so waren sicher die Ambitionen und Erwartungen entsprechend groß. Für mich war es der siebente Start über die „Königsdistanz“ und meine Hoffnung war eigentlich nur, dass es auch das siebente Finish bei einem Marathon werden sollte. Eine Zielzeit unter 6 Stunden habe ich mir natürlich gewünscht, war mir aber nicht sicher, ob das klappen würde. Noch ein paar Wochen vorher bin ich zwar davon ausgegangen, dass in Berlin eine neue Bestzeit her muss und nun endlich mal die 5-Stunden-Marke geknackt werden sollte, aber das konnte ich mir schon zwei Wochen vorher definitiv abschminken, da ich auf Grund der doch nicht unerheblichen orthopädischen Belastungen einer anständigen Marathonvorbereitung, mal wieder diverse Problemchen mit den Waden und dem rechten Knie hatte. Ich hatte zwar alle mir zur Verfügung stehenden Möglichkeiten aufgeboten und mit Wadenkompression, Kniebandage und Schmerzpflaster vorgesorgt, aber ich war schon ziemlich skeptisch , ob das alles halten würde und rechnete eigentlich mit einem großen Einbruch spätestens ab Kilometer 30 und richtete mich auf einen größeren „Wandertag“ ein in der Hoffnung, dass ich wenigstens nicht im Besenwagen die Ziellinie überqueren muss. Aber, wie so oft: erstens kommt es anders und zweitens als man denkt. 😉 Aber der Reihe nach!

Fast wie ein Wimmelbild …

Nachdem ich also um ca. 10:18 Uhr den Start-Ziel-Bogen durchlaufen hatte, ging es erst einmal im gemütlichen Joggingschritt los. Die große Menschenmenge hätte ein allzu schnelles Laufen ohnehin nicht möglich gemacht und mir war das auch ganz recht, da ich (wie viele andere Läufer auch) dazu tendiere zu schnell los zu laufen um dann hinten raus großartig einzubrechen. Also war mir der erste Kilometer, der uns um die Siegessäule mit der glänzenden „Goldelse“ herum führte, mit 07:17 Min/km ganz recht und ich genoss die grandiose Stimmung an der Strecke. Überall standen jubelnde Menschen und feuerten uns an. Herrlich, so hatte ich mir das vorgestellt. Kurz nach dem S-Bahnhof „Tiergarten“ erblickte ich dann auch Ulrike, die ich am Abend zuvor beim gemeinsamen Abendessen unserer duften Läufertruppe von der MaliCrew (ein kleiner, aber feiner Lauf-Verein in Bayreuth) kennen gelernt hatte. Wir klatschten uns kurz ab und weiter ging’s im Laufschritt Richtung Ernst-Reuter-Platz. Die Strecke war mir gut vertraut, da ich diese schon recht häufig gelaufen bin. Wenn ich beruflich, oder privat in Berlin bin, übernachte ich meistens im „Smart Stay Hotel“ in der Wilmersdorfer Straße und laufe am Morgen eine 7-Kilometer-Runde vom Hotel zur Siegessäule und zurück. Nach dem der Ernst-Reuter-Platz durchquert war, ging es für mich dann auf bislang unbekanntes Terrain. Ich wusste zwar einigermaßen, wo ich mich befand, aber hier hatten meine Füße bisher noch keinen Bodenkontakt gehabt. Hinter mir hörte ich eine Männerstimme sagen „ich habe gar nicht gewusst, dass ein Marathon so einfach ist“… Ähh??? Nach zwei Kilometern schon so eine Einschätzung? Irgendwie komisch, waren doch noch 40 Kilometer zu absolvieren. Ich dachte mir „der Hammermann kommt nach 35 Kilometern und nicht schon nach Zwei!“ aber was soll`s … mir ja eigentlich wurscht, was Andere denken und so fokussierte ich mich auf meinen Lauf und machte auch dieses Mal nicht den Fehler, mich an andere Läufer zu hängen, sondern lief wirklich mein eigenes Tempo, kümmerte mich nicht um die vor, hinter und neben mir laufenden Läufer, sondern genoss den Lauf und schaute mir die Gegend an.

Nicht lange und schon ging es an Bundeskanzleramt und Reichstag vorbei, hier wieder sehr viele Zuschauer mit Beifall und Anfeuerungsrufen. Musik aus Lautsprechern, oder sogar von richtigen Live-Band`s, ertönte und der bunte Läufertross ergoß sich über die Straße und zehntausende Marathon-Beine trampelten Schritt für Schritt dem Ziel entgegen. Nicht lange und die ersten 12 Kilometer waren absolviert, inzwischen waren wir die Karl-Marx-Allee (ehemals Stalinallee) entlang gerannt hatten das legendäre Kino „Kosmos“ und das gegenüber liegende Cafe „Moskau“ passiert und den Straußberger Platz umrundet. Nun sind es nur noch 30 Kilometer dachte ich und es fühlte sich noch alles gut an. Keine schweren Beine, keine brennenden Waden und das rechte Knie tat solide das was ein Knie so tut … Alles fühlte sich gut an, das Wetter schien zu halten und ich war guter Dinge. Die Strecke führte weiter Richtung Kreuzberg wieder nach Westberlin hinein, in mir nicht ganz so vertrautes Gebiet. Nun kam schon die 15-Kilometer-Marke und ich musste wieder an meine Frau denken, welche mit der Smartphone-App nun wieder ein Signal von mir empfangen konnte und eine Zwischenzeit gefunkt bekam. Jetzt war es nicht mehr weit bis zur Halbzeit, aber leider fing es immer stärker an zu regnen. Ich war inzwischen froh, dass ich mir ein Kompressionsshirt unter das Laufshirt gezogen hatte, wehte doch zu dem immer stärker werdenden Regen auch noch ein kräftiger Wind. Zwar war das ganz gut für die Kühlung aber der permanente Nieselregen demoralisierte mich etwas.

Kurz nach dem Bahnhof „Yorkstraße“ kam die erlösende 21-km-Marke, nun war die Hälfte geschafft. Ein Blick auf die Uhr sagte mir 2 Stunden und 46 Minuten waren vorbei. Also hatte ich für den zweiten Abschnitt etwa 3 Stunden und 10 Minuten, wenn ich unter 6 Stunden finishen wollte. Das war im Rahmen des Möglichen und ich schöpfte Hoffnung, aber der Regen wurde leider immer stärker und ich immer nasser. Zu allem Unglück tappte ich, etwas unaufmerksam, auch noch mitten in eine riesige Pfütze, die sich inzwischen überall bildeten und hatte nun in beiden Schuhe einen kompletten „Wasserschaden“ … Ich war am Tiefpunkt des Tages angelangt. In diesem Moment dachte ich wirklich ans Aufgeben und fluchte still vor mich hin. Missgestimmt und demoralisiert trottete ich die Straßen entlang und sah das Ziel in weite Ferne rücken. Noch fast 3 Stunden bei diesem besch… Wetter, völlig durchnässt, leicht frierend durch die schmutzigen Straßen einer Großstadt zu joggen, empfand ich in diesen Minuten wirklich nicht als Spaß, Berlin-Marathon hin oder her … Aber wie ich so vor mich hin trottete und darüber nachdachte, wie das Leben manchmal so ist, hörte es bei Kilometer 28 wieder auf zu regnen. Es kam zwar keine Sonne durch die Wolken, aber zumindest war es ein kleiner Lichtblick und ich fasste neuen Mut. Nun kam auch ein Verpflegungsstand an dem Sportgels angeboten wurden. Ich bin eigentlich nicht so der Freund von diesem Zeug, aber Energie war jetzt vielleicht wirklich das Mittel der Wahl und so verdrückte ich zwei von diesen nicht wirklich schmecken wollenden Cola-Cranberry-Gels, spülte mit reichlich Wasser nach und steckte mir noch eine kaugummiartige Kapsel in den Mund, welche wir im Starterbeutel mit bekommen hatten und kaute auf diesem zuckersüßen Ding herum. Nicht mehr lange und die 32 Kilometer-Marke tauchte auf und nun waren es also nur noch 10 Kilometer bis zum Ziel. Ich hatte meiner Frau versprochen, wenn ich es bis hierher schaffen würde, dann komme ich auch ins Ziel, egal ob im Laufschritt oder wandernd. Plötzlich spürte ich auch wieder Energie in meinen Beinen, ob es an dem Zuckerzeug lag oder ob das reine Kopfsache war, keine Ahnung, aber ich begann wieder schneller zu laufen und es machte wieder richtig Spaß. Ich überholte und überholte und überholte, Leute die mich vor einiger Zeit „eingefangen“ hatten und nun dem vielleicht zu schnellen Tempo Tribut zollen mussten, Läufer (oder meistens Geher) die mit Wadenkrämpfen kämpften und links und rechts sah ich sogar Menschen, die sich von Physiotherapeuten (zumindest hoffe ich, dass es wirklich welche waren) behandeln ließen. Plötzlich hatte ich die „zweite Luft“ und gab noch mal richtig Gas. Ich dachte mir, selbst wenn ich mich jetzt auf den nächsten 5 Kilometern „abschieße“ dann muss ich eben auch ins Ziel wandern, aber dann schaffe ich es wahrscheinlich trotzdem innerhalb der vorgegebenen Zeit.

ein Stück mit Lia …

Aber soweit kam es dann gar nicht. Bei Kilometer 34, auf dem Kurfürstendamm, an der Verpflegungsstelle klopft mir plötzlich jemand von hinten auf die Schulter: „das T-Shirt kenne ich doch“. Es war Lia, die mich vor ungefähr 30 Kilometer überholt hatte und an welcher ich vorhin wohl irgendwie unbemerkt vorbei gerannt sein musste. Sie meinte, dass sie ziemliche Schmerzen in den Füßen hat und sie nur noch gehen kann. Wir unterhielten uns ein wenig, machten uns gegenseitig Mut und bei Kilometer 35 verabschiedete ich mich, um nun doch noch ein Stück weiter zu rennen. Es waren ja nur noch 7 Kilometer, ich fühlte mich erstaunlich gut, die Beine taten nicht wirklich weh und ich war extrem optimistisch, dass ich sowohl das Ziel als auch die gewünschte Zielzeit erreichen würde. Nun führte die Strecke vorbei an Bahnhof Zoo (ein stiller Gruß an U2) und schon kam der Potsdamer Platz, wo wieder viele Zuschauer standen, die dem schlechten Wetter trotzten um ihre Läuferhelden anzufeuern. Immer noch überholte ich permanent andere Läufer und fühlte mich wie Waldemar Cierpinsky und Emil Zatopek in einer Person 😉

Nun ging es auf der „Leipziger Straße“ wieder Richtung Osten und anschließend um den „Gendarmenmarkt“, die „Französische Straße“ entlang und schon schon bogen wir auf die Straße „Unter den Linden“ ein. Da stand es, das Brandenburger Tor. Ein Jubelschrei entfuhr einigen der Läufer und ich spürte, wie mir die Kehle eng wurde. Das war der Moment, den ich nun seit fast 6 Stunden herbeigesehnt hatte. Endlich war es soweit! Also flink die Beine in die Hand genommen und direkt unter dem Tor Kilometer 40 passiert. Ein herrliches Gefühl! Unbeschreiblich! Nun waren es nur noch knapp 200 Meter. Plötzlich hörte ich meinen Namen und entdeckte auch schon gleich meine Frau, die ihr Handy auf mich hielt. Ich streckte Ihr den Daumen entgegen und machte mich auf zum Schlußspurt. Diesen absolvierte ich in einer für mich sagenhaften Pace von 3:23 Min./km … und das nach immerhin 42 Kilometern Ausdauerlauf mit all seinen Höhen und Tiefen. In 5 Stunden, 57 Minuten un 7 Sekunden war ich im Ziel. Und obwohl ich weit entfernt von allen Bestzeiten und persönlichen Rekorden war, für mich es mein bisher schönster erfolgreichster Marathon gewesen. Ohne wenn und aber. Berlin ist eben einfach knorke! 😉

Fast im Ziel … 😉