64,52 Kilometer mit 1.690 Höhemetern am 24. September 2016
Vor etwa einem Jahr habe ich den Rat eines populären Laufmagazins befolgt und bin mal wieder durch den Wald gejoggt. Nachdem sich mein „normales“ Lauftraining bis dahin zu fast 100% auf asphaltierten Straßen abgespielt hat, war dieser Lauf ein kleines Erweckungserlebnis. Schon immer war ich gerne im Wald, vorwiegend zum Wandern oder im Rahmen von Bergtouren, aber mal durch den Wald rennen, war mir bis dahin nicht in den Sinn gekommen. Es war ein wunderschöner Lauf, die Ruhe, die Luft, eins mit der Natur zu sein, das alles hat mich an diesem schönen Spätsommerabend tief beeindruckt. Also beschloss ich dies in Zukunft öfters zu tun. Und da ich jemand bin, der sich immer etwas intensiver mit einer Sache auseinandersetzt, habe ich mir natürlich auch gleich etwas Literatur zu dem Thema beschafft, mir Internetseiten angesehen und mich über entsprechende Events informiert. Und so bin ich dann irgendwie auf der Webseite des Maintal-Ultra-Lauf in Veitshöchheim (www.mtut.de) gelandet.
Wahrscheinlich war es ein Anflug von Größenwahn oder so etwas Ähnlichem, was mich dann veranlasst hat, mich gleich für den Ultra-Lauf anzumelden. Es hätte ja auch die halbe Distanz gegeben. Aber nein, es mussten gleich die 64,5 Km mit 1.690 Hm sein … Naja, man gönnt sich ja sonst nix! 😉 So beschloss ich also in diesen Tagen im September 2015 ein Trailläufer zu werden und ein „Ultra“ noch dazu. Ganz schön blauäugig … aber als „Berufsoptimist“ ist das mein Naturell. „Wird schon werden“, dachte ich mir.
Also habe ich natürlich meinen Trainingsplan verändert, bin seitdem viel mehr im Wald gelaufen, habe mir Strecken mit Höhenmetern ausgesucht und sogar spezielle Bergeinheiten in mein Training eingebaut, also jeweils eine Stunde nur rauf und runter, bis die Oberschenkel gebrannt haben. Dass dies dennoch alles nur ein Tropfen auf den sprichwörtlichen heißen Stein gewesen ist, musste ich dann etwas ernüchternd feststellen, als ich im Juli meinen ersten „echten“ Traillauf mit rund 34 km und 700 Hm absolviert habe. Beim Städtelauf Plauen – Hof kamen mir schon ein paar Zweifel, ob ich es in Veitshöchheim überhaupt ins Ziel schaffen werde. Aber wie gesagt, die Hoffnung stirbt zuletzt und so habe ich mich gut ausgeruht und einigermaßen vorbereitet am letzten Freitag auf den Weg nach Unterfranken gemacht. Ein Stau auf der A70 ließ mich schon befürchten, dass ich es nicht mehr pünktlich zur Ausgabe der Startunterlagen schaffen würde, aber kurz vor acht war ich dann zur Stelle und habe meine Startnummer in Empfang genommen.
Den Rest des Abends verbrachte ich dann im Hotel und sortierte schon mal meine Sachen für den Lauf, schließlich sollte es am Samstag schon sehr zeitig losgehen. Also legte ich mich zeitig schlafen und versuchte der Aufregung zu entschlummern.
Pünktlich um fünf Uhr klingelte der Handywecker und riss mich aus meinen Träumen. Da es um diese Zeit noch kein Frühstück im Hotel gab, hatte ich mir am Vorabend im Supermarkt etwas besorgt und ließ es mir schmecken, nachdem ich meine Laufsachen angezogen hatte.
Kurz vor sechs Uhr brach ich zum Ort des Geschehens auf und war 15 Minuten vor Beginn der Wettkampfbesprechung am Start-Ziel-Bereich. Ein buntes Läufervolk war bereits versammelt und es war ganz interessant zu beobachten, wie jeder verschieden mit der Anspannung vor so einem „langen Kanten“ umging. Die einen lachten laut und erzählten in einer Tour, andere wiederum waren ganz in sich gekehrt und wirkten sehr konzentriert.
Da es für mich um nichts weiter ging, als die Strecke an sich zu bewältigen, war ich relativ ruhig und die Freude auf das größte Laufabenteuer meines (bisherigen) Lebens überwog die hin und wieder aufkeimenden Zweifel, das Ganze auch gesund und munter zu überstehen. Wie gesagt, ich bin da vielleicht manchmal etwas blauäugig und stürze mich motiviert in manches Abenteuer, wo andere vielleicht zurückschrecken, weil sie sich vielleicht auch realistischer einschätzen, als ich mich. Aber getrau dem Motto „wer nichts wagt, der nichts gewinnt“ bin ich da immer sehr pragmatisch und sage mir: „was kann ich groß verlieren?“. Wenn ich aufgeben muss, dann habe ich es wenigstens versucht und wenn ich ins Ziel komme, dann habe ich das geschafft, was ich wollte. Nicht mehr und nicht weniger. Zwar hatte ich (so viel vorweg genommen) mit einer etwas besseren Zielzeit gerechnet, aber das verbuche ich mal unter „Erfahrungswerte“.
Nachdem der Organisator uns ein paar Hinweise und Tips zur Strecke und dem organisatorischen Drumherum gegeben hatte, ertönte pünktlich um sieben Uhr der Startschuss und wir setzen uns in Bewegung. Ich hielt mich von Anfang an im Hintergrund und lief in meinem Wohlfühltempo los. Die meisten Läufer rannten in einem Tempo voraus, dass mir schwindelig wurde. Ich wäre in so einer Geschwindigkeit maximal zu einem 10-km-Lauf gestartet, aber ich denke, bei so einem Lauf sind nur wenige „Rookies“ wie ich unterwegs und erfahrene Trailläufer können das halt einfach …
An der ersten Kurve bemerkte ich dann, dass ich doch nicht der Letzte war. Zwei junge Männer liefen noch etwa 200 m hinter mir, gefolgt vom „Besenwagen“, der aus einem Radfahrer auf einem Mountainbike bestand.
Schon nach ca. einem Kilometer ging es mit der ersten ernsten Steigung los. Schon hier war für mich kein rennen im eigentlichen Sinne mehr möglich. Aber das hatte ich erwartet und lief in flottem Wanderschritt den kräftigen Anstieg hoch. Mit den beiden jungen Männern hinter und einem Läufer vor mir wechselten wir immer mal wieder die Position der „roten Laterne“ und je nachdem, ob es rauf oder runter ging, war ich mal schneller oder mal langsamer.
Nach etwa 90 Minuten und etwas mehr als 10 km kam ich zum ersten von sechs Verpflegungspunkten. Ich lag genau in meinem Zeitplan und stärkte mich mit Isogetränk, Banane und nahm etwas Salz auf. Nach kurzer Verschnaufpause ging es weiter durch die Weinberge, die wir inzwischen erklommen hatten.
Beim zweiten Verpflegungspunkt war nun schon fast der erste (von drein) Halbmarathon geschafft. Es waren rund drei Stunden vergangen und ich lag immer noch gut im Plan. Rund 700 Höhenmeter hatten wir nun auch schon überwunden und sensationelle Ausblicke auf das Maintal bescherten mir ein Laufvergnügen erster Klasse. War es am Morgen noch neblig und kühl, so brach sich inzwischen die Sonne ihre Bahn und brachte alles um uns herum zum Glitzern. Mir kamen die Worte von Faust aus dem Gothe-Klassiker in den Sinn und ich wollte schon ausrufen „Augenblick verweile doch, du bist so schön“, aber es war ja Wettkampf angesagt und somit keine Zeit zum Verweilen … Schade eigentlich! 😉
Kurz nach der zweiten Verpflegungsstelle kam mir eine junge Frau entgegen, welche eine Startnummer trug und ich fragte verwundert „falsche Richtung?“. Sie erzählte mir, dass sie sehr große Schmerzen an der Achillessehne hat und daher den Lauf abbrechen muss, sie wollte zum VP2 zurück und dann „aussteigen“. Sie wirkte schon sehr traurig und ich wünschte ihr gute Besserung. Insgeheim dachte ich „hoffentlich passiert mir das nicht auch heute noch“. Ich sollte Glück haben und diesmal ungeschoren davonkommen.
Zwischen dem zweiten und dritten Verpflegungspunkt (bei ca. 26 km) überholten mich dann die beiden Läufer, welche ich an VP2 noch „zurückgelassen“ hatte und der Radfahrer schloss zu mir auf. Somit war ich nun endgültig die „rote Laterne“ und lief weiter den sehr gut ausgewiesenen Markierungen entlang. Die Hälfte war nun fast geschafft und mit etwas über fünf Stunden lag ich noch einigermaßen im Plan, wenn mir da auch bereits klar wurde, dass es knapp werden wird, die 11 Stunden Cut-Off-Time zu schaffen. Aber ich bin ja optimistisch. Bis ca. 15:00 Uhr sollte ich an VP5 ankommen, welcher bei Km 48 liegen sollte. Also waren es bis dahin noch ca. 16 Kilometer und noch rund zweieinhalb Stunden Zeit. Das sollte machbar sein.
Bei km 42 war nun schon der Marathon „im Sack“ und mit rund 1.200 Höhenmetern war dies bei sieben Stunden und 15 Minuten Laufzeit ein für meine Verhältnisse zu erwartendes Ergebnis. Nun „nur“ noch ein Halbmarathon und ich wäre im Ziel, dachte ich mir. Noch zwei Stunden und 45 Minuten … das wird knapp! Denn noch immer warteten rund 500 Höhenmeter auf meine inzwischen schon arg strapazierten Oberschenkel und Waden. Aber Christian, der Radfahrer, welcher mich nun schon seit einiger Zeit begleitete, sprach mir immer wieder Mut zu und meinte, „wir kommen so oder so ins Ziel, Du wirst sehen!“. Inzwischen hatten wir uns etwas „angefreundet“ und uns näher kennengelernt. Ich erzählte ihm meine Geschichte, wie ich zum Laufen und speziell zu diesem Lauf gekommen bin. Grundsätzlich habe ich ja damit kein Problem, als Letzter hinten dran zu laufen, aber da ich absehen konnte, dass es mit der Cut-Off-Time nicht ganz reichen wird, war mir das dann schon etwas peinlich. Wegen mir „Schlaffi“ müssen wohlmöglich Helfer, Sanitäter und mein Begleiter „Überstunden“ machen … Aber er nahm mir meine diesbezügliche Angst und sagte, er regelt das schon. Über Funk hörte ich ihn mit den anderen Streckenposten immer wieder unsere ungefähre Position durchsagen und schnappte die für mich segensreichen Worte auf „Info vom Veranstalter: so lange ein Läufer auf der Strecke ist, sind wir da!“. Ganz angenehm war mir das zwar nicht, aber es machte mir Mut, dass ich es tatsächlich bis ins Ziel schaffen würde und den Lauf auch zu Ende bringen darf.
Ca. 15 Minuten nach 15:00 Uhr kamen wir dann bei Kilometer 48 zum vorletzten Verpflegungspunkt. Schon bekannte Helfergesichter begrüßten mich mit freundlichem Hallo und halfen mir meine Trinkflasche wieder aufzufüllen. Ein lokaler Weinbauer kam mit einem VW-Bus angefahren und erkundigte sich, was wir hier machen würden. Ein Helfer erzählte ihm, dass ein Ultra-Marathon stattfinden würde, mit 65 km und 1.700 Höhenmetern … er winkte ab und dachte zunächst es wird mit dem Fahrrad gefahren, weil er Christian auf dem Mountainbike sitzen sah, als er aber realisierte, dass gelaufen wird, war er doch etwas erstaunt.
Kurz danach machten wir uns nun auf zum letzten Verpflegungspunkt, der bei Kilometer 56 auf uns wartete. Auch dort, ca. eine Stunde vor Zielschluss war ein junger Mann behilflich mir meine Flasche zu füllen und die letzten 8,5 Kilometer gut gestärkt in Angriff zu nehmen.
Noch immer warteten rund 200 Höhenmeter auf mich. Ich dacht bei mir: „hört denn das nie auf?“ und konnte selbst die kleineren Steigungen nur noch im flotten Wanderschritt bewältigen. Auf den einigermaßen flachen und Bergabpassagen ging es noch im Joggingtempo von rund 8-10 Minuten / Kilometer. Schnell war das freilich nicht, aber nach fast 60 Kilometer ging wirklich nicht mehr viel.
Zum meinem „Entsetzen“ kamen dann, kurz nach der 60-Km-Marke noch mal zwei richtig böse Anstiege und die auch noch auf halbhoch gemähter Wiese, so ziemlich das unangenehmste für meine geschundenen Füße und Beine, was ich mir zu diesem Zeitpunkt vorstellen konnte. Aber ich hatte es mir ja so ausgesucht, also musste ich jetzt da durch und weiter traben.
Nachdem auch dies überwunden war ging es wieder etwas in den Wald hinein. Die Sonne war schon relativ weit am Horizont angekommen und kündigte uns mit rötlicher Färbung den nahenden Sonnenuntergang an. Aber bis dahin war es noch rund eine Stunde Zeit und die letzten 3 Kilometer sollten in rund 30 Minuten geschafft sein. Und wie im Fluge vergingen auch noch diese restlichen Minuten und ich bog wieder in die Einfahrt zum Sportplatzgelände ein, wo ich fast zwölf Stunden vorher zu diesem Laufabenteuer aufgebrochen war.
Am Rande des Spielfeldes sah ich schon die versammelte Helfermannschaft, die Musik spielte noch und als ich in deren Fokus rückte fingen alle rhythmisch an zu klatschen. Ich legte noch mal eine Schippe drauf und holte die letzten Reserven aus den Beinen. „Beim Zieleinlauf wird gerannt und nicht gewandert!“, sagte ich mir.
Mit lautem Jubel wurde ich nun als letzter im Ziel empfangen und bekam die Finisher-Medaille umgehängt, sowie das Finisher-Shirt ausgehändigt. Zwar war ich mit meinen Kräften am Ende aber dennoch glücklich, mich durchgekämpft und meinen ersten Ultramarathon überstanden zu haben.
Ich bedankte mich bei Organisator und Helfern und verabschiedete mich von allen in die Dusche. Viel Essen und Trinken konnte ich zunächst nicht. Das wollte ich dann noch auf der Rückfahrt erledigen.
Nach dem Duschen merkte ich dann, dass mein Körper etwas „verwirrt“ war. Fast 12 Stunden Sport treiben und nun? Der Kreislauf forderte seinen Tribut. Aber ich konnte ja auf der Rückfahrt rund zwei Stunden im Auto sitzen und mich mehr oder weniger ausruhen.
Unterwegs dann, an der ersten Raststätte, die auftauchte, beschloss ich zu Abend zu essen. Mit zittrigen Beinen kämpfte ich mich aus dem Auto und bis hin zur Theke. Ich hoffte, dass mich keiner wahrnehmen würde, ich habe bestimmt ausgesehen, wie ein 90 jähriger mit Gehbehinderung … 😉
Der Muskelkater, den ich seit Samstagabend mit mir herumtrage bringt mir regelmäßig das Erlebnis vom Maintalultra ins Gedächtnis. Wahrscheinlich wird das noch ein bis zwei Tage so sein, spätestens dann ist mein erster Ultra-Marathon, der gleichzeitig ein Ultra-Trail war endgültig Geschichte. Jetzt heißt es weiter trainieren und beim nächsten Mal schaffe ich es dann hoffentlich noch innerhalb der Cut-Off-Time ins Ziel. Auf jeden Fall hat mich der Trail-Virus infiziert ob nun mit oder ohne Ultra-Distanz. Durch die Natur laufen ist einfach schöner als auf Asphalt, wenn auch der eine oder andere Stadtmarathon interessante Eindrücke vermittelt.
In diesem Sinne wird dies sicher nicht mein letzter Traillauf und sicher auch nicht mein letzter „Ultra“ gewesen sein.